Gutachter: Amokfahrer vermindert schuldfähig

Der Amokfahrer von Trier steht im Gerichtssaal umringt von seinen Verteidigern und Sicherheitspersonal.

Trier. Auch im neu aufgerollten Prozess gegen den Trierer Amokfahrer hält der psychiatrische Gutachter den Angeklagten für vermindert schuldfähig. Er leide an einer paranoiden Schizophrenie, die seine Steuerungsfähigkeit bei der Tat erheblich eingeschränkt habe, sagte der Sachverständige Jürgen Müller am Mittwoch vor dem Landgericht Trier.

Der Amokfahrer von Trier steht im Gerichtssaal umringt von seinen Verteidigern und Sicherheitspersonal.
Der Angeklagte (3.v.l.) steht beim Prozessauftakt um die tödliche Amokfahrt in Trier erneut vor Gericht. Foto: Harald Tittel/dpa

Bei dem 54-Jährigen sei ein „Verfolgungs- und Beeinträchtigungswahn“ festzustellen, der sich vor der Tat verstärkt habe. Im Kern drehe sich der Wahn darum, dass der gelernte Elektroinstallateur überzeugt sei, als Kind Opfer eines staatlichen Versuchs geworden zu sein, bei dem ihm ein radioaktives Mittel gespritzt worden sei. In der Folge habe er sich vielfach benachteiligt und verfolgt gefühlt. „Der Wahn hat sein Leben bestimmt.“

Seit Jahrzehnten kämpfe er vergeblich darum, 500.000 Euro zu bekommen, die ihm für die angebliche Versuchsreihe zustehe. Am Tag vor der Tat sei ein Besuch bei einem Anwalt wieder erfolglos gewesen: Das habe er als „demütigend und kränkend“ empfunden. Daraufhin habe er „allgemeine Rachegefühle an der Trierer Bevölkerung“ umgesetzt und die geplante Amokfahrt ausgeführt, sagte Müller.

Nicht schuldunfähig

Gegen eine Schuldunfähigkeit des Amokfahrers spreche, dass die Tat „nicht konsistent im Wahnsystem“ verankert war, sagte Göttinger Professor weiter. Wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte er sich danach nicht widersprüchlich und abstreitend eingelassen. „Ein Wahnkranker sieht sich im Recht.“ Zur Tatzeit war der Mann alleinstehend, arbeitslos und ohne festen Wohnsitz gewesen.

Vor der Amokfahrt habe es bei dem Angeklagten „vorbereitende Handlungen“ gegeben: So habe er seinen Nachlass geregelt. Der Gutachter ging davon aus, dass der 54-Jährige bei der Tat seinen eigenen Tod mit in Kauf genommen hatte. Er hatte zuvor bereits sinngemäß gedroht: „Wenn mir Trier weiter auf den Sack geht, ballere ich alle um. Dann begehe ich einen Amok.“ Da er dabei gelacht habe, habe das keiner ernst genommen.

Amokfahrer bleibt gefährlich

Von dem Amokfahrer seien aus psychiatrischer Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Straftaten zu erwarten, sagte Müller. Er zeige keine Reue und keine Empathie für die Opfer. Daher sei die Unterbringung des Deutschen in einem psychiatrischen Krankenhaus zu empfehlen, sagte der Professor für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Göttingen. Zu Tat und Motiv habe sich der Angeklagte nicht geäußert. Er mache „eine Erinnerungslücke“ geltend.

Bei der Amokfahrt am 1. Dezember 2020 durch die Fußgängerzone waren fünf Menschen getötet worden, zahlreiche weitere wurden verletzt und traumatisiert. Ein weiterer Mann erlag vor zwei Monaten seinen bei der Amokfahrt erlittenen Verletzungen. Dass der Angeklagte der Täter war, ist unbestritten und wird nicht neu verhandelt.

Warum neuer Amokprozess?

Der Bundesgerichtshof hatte das Urteil vom August 2022 wegen Rechtsfehlern überwiegend aufgehoben. Das Landgericht habe Fehler gemacht: Das Gericht hatte wegen einer diagnostizierten paranoiden Schizophrenie den Mann generell für vermindert schuldfähig gehalten. Konkret auf die Tat bezogen geprüft und begründet hatte das Gericht die Annahme jedoch nicht, urteilte der BGH.

Daher steht in der Neuauflage die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Fokus. Der Mann war im August 2022 wegen mehrfachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest, ordnete die Unterbringung in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus an.

Auswirkungen des Alkoholkonsums

Auch wenn der Amokfahrer zur Tat nach Berechnungen rund 1,6 Promille im Blut hatte, sei er imstande gewesen, sein Auto sicher zu führen, sagte Müller. Auch sonst habe es keine Auffälligkeiten gegeben. Der Angeklagte habe schon länger viel getrunken und sei zumindest „an der Grenze der Alkoholabhängigkeit“ gewesen. Bei der Tat habe sich der Alkoholkonsum zusätzlich enthemmend ausgewirkt.

Was bedeutet das Gutachten für das Urteil?

Für den Trierer Strafrechtsprofessor Mohamad El-Ghazi kommt die Einschätzung des Gutachters nicht überraschend. Sollte das Gericht erneut zur Überzeugung kommen, dass der Angeklagte zumindest eingeschränkt schuldfähig war, sei es „nicht unwahrscheinlich“, dass es im zweiten Durchgang das gleiche Urteil gebe wie im ersten Prozess: „lebenslange Freiheitsstrafe und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus“, sagte er.

Opfer und Hinterbliebene

„Natürlich ist das kein Befreiungsschlag für die Opfer und die Hinterbliebenen, aber es ist schon eine Erleichterung, dass die Frage der Schuld jetzt nicht gänzlich anders betrachtet wird“, sagte der Opferbeauftragte der Landesregierung Rheinland-Pfalz, Detlef Placzek, im Gericht. Wolfgang Hilsemer, der bei der Tat seine Schwester verloren hat, sagte: „Es ist eine Erleichterung, da man nun ein Urteil wie in erster Instanz erwarten kann.“ Das Urteil könnte am 6. Mai fallen. (dpa/lrs)

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